Interview

MN: Steiner sprach in seinen letzten Vorträgen davon, dass die Anthroposophen der ersten Generation nur die „Vorbereiter“ wären für dasjenige, was dann als Spiritualität auch andere, noch nicht inkarnierte Individualitäten mitbrächten. Im Grunde hattest du meine Frage ja schon durch das eben von dir Gesagte beantwortet. Aber doch noch mal ganz direkt: Hast du den Eindruck, als wenn es die von Steiner als notwendig für die Erdenkultur vorauserhoffte „Kulmination“ des spirituellen Impulses gegeben hätte oder hast du eher den Eindruck eines spirituellen Niederganges, gemessen an dem, was in den ersten Jahrzehnten veranlagt war?

CF: Rein äußerlich gesehen hat es eine Kulmination im Sinne von Ausbreitung des anthroposophischen Impulses in den 70er und 80er Jahren des 20.Jahrhunderts gegeben. Viele Waldorfschulen wurden gegründet, Eurythmieschulen etc. – Aber das ist ja schon lange vorbei und bezog sich auch nur auf die Verbreitung der so genannten Tochterbewegungen im Sinne von Alternativmethoden, ohne dass gleichzeitig der spirituelle Impuls erneuert oder vertieft worden wäre. Natürlich heißt das nicht, dass nicht auch da viel gute Arbeit geleistet worden wäre, aber gemessen an dem, was eigentlich veranlagt war, kann man heute wohl eindeutig von einem Niedergang sprechen, – auch rein äußerlich gesehen.
Besonders deutlich ist das für mich an der Eurythmie zu sehen, wovon ich ja selbst betroffen bin. Zur Zeit gibt es kaum noch Menschen, die Eurythmie studieren wollen. Kursangebote oder Aufführungen finden kaum noch Resonanz, und auch die Heileurythmie hat große Einbrüche zu verzeichnen. – Die Eurythmie in ihrer bisherigen Form ist ziemlich akut vom Aussterben bedroht, während gleichzeitig vereinzelte Bemühungen um neue Ansätze hoffen lassen, dass die spirituellen Quellen vielleicht doch wieder neu belebt werden können. Auch das soll Rudolf Steiner noch kurz vor seinem Tod ausgesprochen haben, dass die Eurythmie nach seinem Tod einer ziemlich schnellen Veräußerlichung entgegen gehen würde.
Ich habe das selbst so erlebt, schon in meiner Ausbildung, dass das, was mir da geboten wurde, nicht das war, was ich eigentlich suchte.
Ich hatte ja in meiner vorigen Inkarnation die Entstehung der Eurythmie miterlebt und darauf den Wunsch entwickelt: im nächsten Leben möchte ich Eurythmie studieren! Ja, dieser Wunsch drängte dann auch ziemlich vehement auf Erfüllung. Nur war die Eurythmie zwischenzeitlich schon lange nicht mehr dieselbe wie zu Anfang.

MN: Wie meinst du das?

CF: Rein äußerlich gesehen hatte vieles sich weiterentwickelt und war perfekter geworden. Aber der spirituelle Impuls war bestenfalls noch theoretisch da… – Ich habe ja sehr jung, mit 18, mit der Ausbildung begonnen und konnte meine Unzufriedenheit nicht so richtig artikulieren. Ich wusste nur, dass irgendetwas fehlte. Mit 20 hatte ich dann so eine Art Schlüsselerlebnis. Da hatte ich in Järna an einer Tagung der Jugendsektion über das „Erleben des Ätherischen in der Kunst“ teilgenommen und einen Eurythmiekurs belegt. Da habe ich zum ersten Mal ahnen können, worum es eigentlich geht. In der Ausbildung wurden uns diese Qualitäten nicht vermittelt. Da wurde aus Tradition nachgeahmt und mehr oder weniger festgelegte Bewegungsschablonen einstudiert. Ich habe mich zunehmend gefragt, was das eigentlich alles soll und warum ich da überhaupt „herumhopse“.

Auch wenn ich später durch das eigene Unterrichten, die Heileurythmieausbildung und durch ein ständiges Ringen um die spirituelle Substanz manches vertiefen und für mich neu beleben konnte, habe ich doch noch lange Zeit meine Grundausbildung wie ein Korsett empfunden, aus dem ich nicht mehr herauskam, das ich nicht ablegen konnte, obwohl es mich behinderte.
Trotzdem hat mich die Eurythmie nicht losgelassen. Ich habe immer wieder um neue Ansätze gerungen und versuche es auch jetzt wieder. Aber es gibt eigentlich keinen Umkreis dafür. Eurythmie wird nicht mehr gewünscht. Manchmal denke ich auch, es wäre gut, wenn das Alte möglichst schnell verschwinden würde, damit ein neuer Impuls sich wieder inkarnieren kann und nicht wie eine Art Koma-Patient weiterexistiert. Die Eurythmie ist ja nur ein Beispiel, an dem der Niedergang besonders deutlich wird.
Das, was Steiner von den damaligen und dann wiederkehrenden Anthroposophen erwartet hat, ist eindeutig nicht ergriffen, nicht einmal begriffen worden.

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MN: Welche Erwartung sprichst du da an?

CF: Die bewusste Arbeit am eigenen Karma zum Beispiel wäre eine der wesentlichsten Aufgaben der Mitglieder gewesen – bis heute ist dies ein Tabu-Thema! Rudolf Steiner hat mehrere Anläufe genommen, um die Notwendigkeit einer konkreten Karmaforschung deutlich zu machen:

  1. in der Esoterischen Schule. Da gab es schon entsprechende Übungen.
  2. in den Mysteriendramen und in der Entstehung der Eurythmie und des Goetheanumbaus, dessen plastische Formen bereits eine belebende Wirkung auf die Ätherleiber ausüben sollte.

All das sollte zur Entwicklung des künftigen ätherischen Hellsehens führen. Steiner sagte mal, dass er keine weiteren Vorträge mehr hätte halten müssen, wenn die Menschen seine Mysteriendramen verstanden hätten! Dass dieser Impuls nicht wirklich aufgenommen worden ist, ist eben eine große Tragik!

  1. 3. – ein letzter – fast schon verzweifelter Versuch -folgte durch die Weihnachtstagung und die Karmavorträge, wo er dann ja ganz konkret wurde.

Heute kann man sagen, dass die Fähigkeiten, von denen Rudolf Steiner gesprochen hat, da sind, dass Methoden zur Bewusstwerdung und Aufarbeitung früherer Leben entwickelt worden sind, überall auf der Welt – am wenigsten aber bei Anthroposophen…
Die geistige Welt sucht sich eben andere Wege, wenn einer verschüttet wurde.
Auch andere Dinge, die Steiner vorhergesagt hatte, sind da: spirituelle Impulse in allen Lebensbereichen bis hin zur technischen Entwicklung. Da ist doch in den letzten Jahren ungeheuer viel passiert! Anthroposophen scheinen diese Entwicklung zu verschlafen oder arrogant zu belächeln oder einfach nur abzuwerten… Bei mir stellt sich hinsichtlich der Überreste der Anthroposophischen Gesellschaft das Bild einer Pflanze ein, die zum vertrockneten Stengel einer Pusteblume geworden ist. Aber im Umkreis sind viele andere Löwenzahnpflanzen aufgegangen!

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MN: Welche Konsequenzen für dein weiteres Wirken ergeben sich für dich aus all diesen Erkenntnissen?

CF: Ja, da hat sich in den letzten Jahren viel gewandelt für mich… Ich stand ja zunächst nach meinem Erlebnis zur Zeit Rudolf Steiners vor einem großen Rätsel, vor der Frage nach der Aufgabe, der Konsequenz aus dem damaligen Scheitern. Lässt sich Versäumtes einfach nachholen? Oder hat nicht auch jede Zeit ihre ganz eigenen Aufgaben, die man wiederum vor lauter Nachholen auch nicht versäumen darf?! – Ist ein Wirken innerhalb anthroposophischer Institutionen möglich und nötig? Oder geht man lieber im Stillen eigene Wege? Ich steckte da in einem großen Zwiespalt. Dieser Zwiespalt war allerdings auch schon die Fortsetzung eines inneren Zwiespalts in dem vorigen Leben, aus dem heraus ich mich in ein inneres Refugium zurückgezogen hatte.

MN: Worin bestand dieser Zwiespalt?

CF: Er bestand darin, die eigene Integrität nicht leben zu können innerhalb der Gemeinschaft, sich aber auch nicht aus der Gemeinschaft lösen zu können.
Da war ohnmächtige Wut über Unrecht, über Ansprüche, die nicht gelebt wurden. Da war der Zwang, entweder sich anzupassen und mitzumachen oder zu gehen. Das hätte aber den Verlust an Sicherheit und Geborgenheit bedeutet.

MN: Dieses persönlich erlebte und – wie du ja schildertest – sogar für die Gemeinschaft mit gebüßte Versagen ist doch etwas ganz Aktuelles, was am Schlimmsten wohl in der Nazi-Zeit, die du ja auch miterlebt hast, aber verhohlen und nicht weniger schädlich in so vielen Arbeits- und Lebensbereichen auch heute stattfindet. Ich denke, dass von deinen Erfahrungen -in den Konsequenzen eben über das eine Leben hinausgehend! – viele andere et was lernen könnten!

CF: Nun, damals schien es mir gar keine andere Wahl zu geben als dazubleiben, in der Waldorfschule, und alles zu schlucken, was sich da abspielte. Da schien es mir nur die „innere Emigration“ zu geben und sich aus allem Streit herauszuhalten… Das war aber eine verlogene Situation… Diese Schwäche, also mein persönliches karmisches Muster, das für mich zu dieser Belastung geführt hatte, hieß also: sich aus lauter Harmoniebedürfnis anzupassen und schweigend dem Unrecht und Unfug zuzusehen, dadurch aber sich selbst und das eigene Gewissen nicht leben zu können!

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