Karma der Kinder

Was geht uns das Karma unserer Kinder an?

Können wir in der heutigen Zeit unserem Erziehungsauftrag überhaupt noch gerecht werden, ohne die karmischen Grundtendenzen und Aufgaben der Kinder zu kennen?

Haben wir ein Recht oder sogar die Pflicht, diesbezüglich zu forschen und korrigierend einzugreifen? Welche Auswirkungen hat dies auf unser eigenes Karma? Wie gewinnen wir Sicherheit, keinen Schaden anzurichten und das Kind optimal auf seine Lebensziele vorzubereiten?

Auch heute noch, fast ein Jahrhundert, nachdem Rudolf Steiner in verschiedenen Zusammenhängen nachdrücklich auf die Notwendigkeit hingewiesen hat, den Karmagedanken durch konkrete Forschung für die praktische Anwendung fruchtbar zu machen — vor allem auch im pädagogischen und therapeutischen Bereich — herrscht auf diesem Gebiet nach wie vor eine große Scheu und Skepsis. Teilweise ist diese Skepsis sicher berechtigt, denn wie jede Wahrheit kann auch der Karmagedanke missbräuchlich benutzt werden und zu allerlei Spekulationen und Fehlurteilen über andere Menschen führen statt zu wirklichen Einsichten und daraus resultierender moralischer Verantwortung.

Im „Heilpädagogischen Kurs“ fordert Rudolf Steiner ausdrücklich von den Pädagogen, inneren Mut zu entwickeln, um korrigierend in das Karma der Zöglinge einzugreifen. Wie hat man sich das konkret vorzustellen? Kann man überhaupt in etwas eingreifen, was man gar nicht kennt? Oder anders gefragt: müssen wir nicht Karma – Erkenntnis anstreben, um sinnvoll und heilend eingreifen zu können?

Zunächst einmal sollte man sich klarmachen, dass selbstverständlich jeder Erziehende oder Heilende durch seine Tätigkeit in das Karma der ihm Anvertrauten eingreift, unabhängig davon, ob er sich dessen bewusst ist oder nicht. Wirkungen auf das eigene und fremde Karma finden permanent statt, durch jede Handlung, jede Entscheidung, jedes Wort und sogar durch Gedanken, die wir dem Anderen gegenüber hegen.

Vor einigen Jahren machten Psychologen an einer Schule folgendes Experiment: Sie führten in einer Klasse mit allen Schülern Intelligenz- und Leistungstests durch. Danach erzählten sie den Lehrern der Klasse, dass bei etwa der Hälfte der Schüler im nächsten halben Jahr Leistungsverbesserungen zu erwarten seien, bei der anderen Hälfte ließen die Tests auf sich anbahnende Verschlechterungen schließen. Die Lehrer wussten nicht, dass die Psychologen eine völlig willkürliche Auswahl getroffen hatten, die keinerlei Zusammenhang mit den Testergebnissen hatte. Sie glaubten an die gemachte Vorhersage und beobachteten die Schüler im Hinblick auf die zu erwartenden Veränderungen. Nach einem halben Jahr hatten sich tatsächlich alle Schüler in die erwartete Richtung entwickelt. Und das, obwohl diese Erwartungen rein willkürlich in den Köpfen der Lehrer erzeugt worden waren!

Dieses Beispiel sollte genügen, um ein Bewusstsein davon zu wecken, dass Einwirkungen auf die Entwicklung und letztlich auch auf das Karma der Kinder nicht unwesentlich von unserer eigenen inneren Haltung und den alltäglichen Handlungen abhängen. Permanent greifen wir durch unsere Entscheidungen und unsere Einstellung gegenüber dem Kind in dessen Karma ein, sei es fördernd und heilend oder eben schlimmstenfalls auch hemmend und schädigend. Es wäre eine Illusion, zu glauben, dass dieses Eingreifen überhaupt vermeidbar ist. Was also meint R. Steiner mit seinem Hinweis auf die Notwendigkeit des Eingreifens?

cf_balken_cf_karma

cf_button_cc

 

„…Und so muss man wissen, dass es sich handelt um ein tiefes Eingreifen in die karmischen Tätigkeiten, die sich sonst vollziehen würden zwischen Tod und einer nächsten Geburt. (…) Das gewöhnliche Leben zwischen Geburt und Tod, das bewahrt den Menschen vor der Notwendigkeit dieses inneren Mutes. Da kann er fortwährend das tun, was er gewohnt ist, woran er sich gewöhnt hat. Da trollt er sich fort nach dem, was in ihm steckt, da sieht er die Ansichten immer als die Richtigen an, hat nicht nötig, sich neue Ansichten zu geben. Das ist gut für das Leben, das sich bloß in der physischen Welt vollzieht, so darinnen zu stehen. Aber wenn man zum Wirken aus dem Geistigen kommt, muss man sich täglich, stündlich vor Entscheidungen gestellt fühlen, bei jeder Tat sich vor die Möglichkeit gestellt fühlen, sie tun zu können oder unterlassen zu können, oder sich völlig neutral verhalten zu können. Und zu diesen Entscheidungen gehört eben Mut, innerer Mut. (…) Und der erwacht nur, wenn man sich die Größe der Dinge immer vor Augen stellt: du tust etwas, was die Götter sonst tun im Leben zwischen Tod und nächster Geburt. Das zu wissen, ist von gar großer Bedeutung. Nehmen Sie das meditierend auf.“ 

(Heilpädagogischer Kurs, 26. Juni 1924)

Valentin Wember kommt in seinem Beitrag „Reinkarnation und Pädagogik“ in dem Buch „Wie wir wurden, wer wir sind“ (herausgegeben von Nothard Rohlfs) zu dem Ergebnis, dass die von R. Steiner gegebenen Hinweise auf karmische Gesetzmäßigkeiten durchaus von Pädagogen so aufzugreifen sind, dass sie sich sowohl in gedanklicher Art als auch durch bildhafte Schauungen mit dem Karma ihrer Schüler auseinandersetzen sollten. Die Grundbedingung dafür sei, dass sich der Erzieher selbst mit einbezieht in das Schicksal des Kindes und daraus eine moralische Handlungsweise erfolgen lässt:

„Das Auftreten einer bildhaften Schauung aus vermeintlichen früheren Erdenleben ist als solches kein Wahrheitskriterium. Ob aber eine schauende Erinnerung in die richtige Richtung weist, zeigt sich daran, ob aus ihr neue, fruchtbare Handlungen hervorgehen. (…) Der Wahrheitsgehalt einer karmischen Erinnerung liegt nicht in ihr selbst – und auch nicht in der Vergangenheit, sondern er liegt in einer schöpferischen Zukunft, die aus Willensentschlüssen und Taten besteht.“

Die von V. Wember angeführten Ausführungen R. Steiners eröffnen seiner Ansicht nach

„der Pädagogik ein großes neues Feld, und nicht umsonst sagt R. Steiner, dass es von unermesslicher Bedeutung sei, in der geschilderten Weise zu wirken. (…) Zunächst geht es um die helfende pädagogische Tat, nicht um Erinnerung. Es geht darum, wie sich der Erzieher selbst verändern und moralisch- pädagogisch weiterentwickeln kann, um dadurch auch seinem Zögling bei dessen Entwicklung helfen zu können.“

In meiner „Imaginations- und Karmaarbeit“ spielen die genannten Fragestellungen zunehmend eine große Rolle. Ebenso wie bei der Erforschung des eigenen Karmas kann es keinesfalls um die Befriedigung von Neugier gehen, wenn wir uns den Beziehungen zu unseren Kindern, Partnern, Schülern oder Kollegen meditativ nähern wollen. Die allererste Grundforderung ist hier absoluter Respekt vor der Freiheit und der Intimsphäre des anderen Menschen. Hier taucht natürlich sofort die Frage auf:

„Was ist erlaubt und was nicht? Wie weit können und dürfen wir überhaupt Einblicke in das verborgene Innerste einer anderen Seele haben? Rechtfertigt der Wunsch, einem anderen helfen zu wollen oder eine Beziehung klären zu wollen, sich mit dieser anderen Seele imaginativ zu beschäftigen?“

Merkwürdigerweise stellen sich relativ wenige Menschen die Frage, ob es erlaubt ist, über andere Menschen schlecht zu reden, über ihre Motive und Sichtweisen zu urteilen oder sich über ihre Schwächen lustig zu machen. Dass durch gehässiges und urteilendes Reden über jemanden dem Betreffenden realer Schaden zugefügt wird, macht man sich selten klar. Umgekehrt ist es eine ebensolche Realität, dass durch liebevolle Gedanken und um Verständnis ringende Gespräche über ein Kind, einen Patienten oder einen Menschen in Not dieser eine Stärkung und Befreiung erfahren kann, selbst wenn er von diesen Gesprächen nichts weiß. Lehrer können das immer wieder erleben, wenn sie ein „Problemkind“ zum Mittelpunkt eines Gesprächs machen und sich seinem Wesen durch einander ergänzende Berichte und Betrachtungen nähern, dass dieses Kind am Tage nach diesem Gespräch plötzlich wie verwandelt erscheint.

Dieser Effekt kann durch eine meditative Betrachtungsweise und Einbeziehung der Karmafrage noch wesentlich verstärkt werden. Die Erfahrung zeigt, dass dabei zunächst der Meditierende selbst eine Verwandlung erfährt. Auf neugierige oder taktlose Fragen wird man keine Antwort bekommen. Denn es geht bei der Erforschung karmischer Zusammenhänge nicht um Wissen oder Erklärungen von Phänomenen, sondern in erster Linie um Selbsterkenntnis und daraus resultierender Selbstverwandlung. Man kann nicht Karma – Erkenntnis haben und dabei der gleiche Mensch bleiben, der man vorher war. Ohne die Bereitschaft zur Veränderung wäre Karmaforschung sinnlos oder sogar schädlich. Das gilt nicht nur für die Erforschung der eigenen Vergangenheit, sondern auch für Einblicke, die wir in das Karma uns verbundener Seelen haben dürfen. Wir bekommen nur in solchen Fällen etwas offenbart, in denen diese Offenbarungen zu unserer eigenen Verwandlung und zum Wohle aller Beteiligten beitragen können.

Bevor man einem anderen helfen kann, muss man ihn erst verstehen lernen. Die Probleme, die wir miteinander haben, resultieren häufig aus dem Unverständnis dessen, was der Andere wirklich braucht. In vielen Fällen geht es als erstes darum, die eigene Einstellung zu verändern, um dem Gegenüber Erleichterung zu verschaffen. Falsche Erwartungen, Bevormundungen, Pseudoverantwortlichkeiten, Abhängigkeiten oder unerlaubte Übergriffe können erkannt und verändert werden. Dass man dabei Einblicke in das gemeinsame Karma oder auch nur in das des Anderen bekommt, geschieht nur in solchen Fällen, in denen es für das Verständnis oder die Heilung hilfreich ist. Oft genügt es schon, durch Symbole alte Fesseln oder Blockaden zu erkennen, um sie beseitigen zu können. Manchmal muss auch die Beziehung von Mensch und Engel gestärkt werden, oder man bittet Heilungsengel dazu, das zu tun, was jetzt notwendig ist.

Eine Belästigung oder Manipulation des anderen Menschen kann es meiner Erfahrung nach bei dieser Methode nicht geben. Wenn die Seele keine Hilfe annehmen möchte, wird man das in der Meditation immer deutlich wahrnehmen. Aber selbst wenn man eine Ablehnung erfährt, kann dies schon eine Verständnishilfe sein. Man kann z. B. wahrnehmen, dass eine Seele beschlossen hat, für eine bestimmte Zeit einen Weg der Einsamkeit und des Leids zu wählen, um bestimmte Erfahrungen und Lernschritte zu machen, wovon man sie nicht abbringen sollte, auch wenn es einem selber weh tut, dabei zuzusehen. In solchen Fällen hat auch der Engel dieses Menschen keine Möglichkeit, einzugreifen. Trotzdem kann der Meditierende von diesem Engel oft hilfreiche Hinweise bekommen, was im konkreten Fall getan werden kann. Manchmal ist es geradezu notwendig, dass Menschen sich mit einer Bitte oder Frage an die Engel wenden, damit diese tätig werden können.

cf_balken_cf_karma

cf_button_cc