Von Schlangen und Drachen

Christiane Feuerstack

Kleingarten  Kompost  Karma

 

Von Schlangen und Drachen

Wieder ein neuer Tag. Was ist wirklich neu? Obwohl der Tag neu ist, müssen wir uns für das Neue bewusst entscheiden, sonst bleibt alles eine Wiederholung von Altbekanntem. Wie viele Gedanken denkt der Mensch durchschnittlich pro Minute, pro Sekunde? Ich habe mir die genaue Zahl nicht gemerkt, die Wissenschaftler herausgefunden haben, aber es sind unvorstellbar viele. Die meisten davon kommen kaum zum Bewusstsein. Es sind blitzschnell ablaufende Assoziationsketten, die sich meistens immer wieder um dasselbe drehen und automatisch in gewohnheitsmäßigen Bahnen ablaufen. Sie springen ständig zwischen Vergangenheit und Zukunft hin und her, ausgelöst durch gegenwärtige Eindrücke, unbewusste Gefühle und Impulse.

 In allen mir bekannten spirituellen Schulungen spielt Gedankenkontrolle eine wesentliche Rolle, ebenso Kontrolle von Gefühlen und Willensimpulsen. Ich mag das Wort Kontrolle in diesem Zusammenhang nicht. Es ist irgendwie negativ besetzt, weckt Assoziationen von Zwang, Unfreiheit oder Einschränkung. Gemeint ist bei diesen Übungen aber gerade das Freiwerden von unbewussten Zwängen, eine Bewusstwerdung dessen, was gewöhnlicherweise automatisch abläuft und uns zu Sklaven dieses Automatismus macht. Erst indem uns diese Mechanismen bewusst werden, erlangen wir die Freiheit, selbst zu ent-scheiden, was wir denken und fühlen wollen. Die Willenskraft benötigen wir gerade für diese Entscheidung, uns immer wieder bewusst auf Klarheit im Denken und Fühlen auszurichten, auf die innere Haltung, im Einklang mit den geistigen Gesetzen und der kosmischen Ordnung zu handeln, sich authentisch und situationsgerecht zu verhalten.

Vor Jahren, als ich versuchte, meine widerspenstigen Gedankenströme zu bändigen, hatte ich ein treffendes Bild:

Die Gedanken, die mich haben (statt ich sie), sehen aus wie ein Gewirr von durcheinander kriechenden Schlangen. Sie zischeln und züngeln und sind in ständiger Unruhe und Bewegung. Als ich dieses Gewirre frage, was es in mir bewirkt, sagt es: „Das siehst du doch. Wir weben einen dichten Schleier vor die Wirklichkeit, so dass du nicht wahrnehmen kannst, was wirklich ist, sondern sich immer dieses Gedankenwirrwarr davor schiebt.“ Ich sage: „Hört sofort auf damit!“ Sie lachen höhnisch. Ich greife hinein und versuche, das Dickicht mit beiden Händen auseinander zu ziehen. Ich schaffe es nur für kurze Zeit, dann verstärken die Schlangen ihre Kraft, werden noch dicker und schnellen wieder zurück.

Widerstand ist zwecklos. Es geht nur durch Annehmen und Verwandeln. Ich frage also, was ihr positiver Kern ist, womit sie mir im fortschrittlichen Sinne dienen können? Statt einer Antwort löst sich das Knäuel auf. Die Schlangen kriechen auf meinen Körper, sich von oben nach unten schlängelnd. Ich verstehe die Botschaft nicht. Mein Blick ist jetzt zwar frei, aber die kriechenden Schlangen sind mir äußerst unangenehm. Sie behaupten, dass sie mir Schutz geben. Schutz wovor? „Schutz, um die Wirklichkeit ertragen zu können, ohne sich selbst zu verlieren oder der Außenwelt ausgeliefert zu sein.“ Ich erkläre ihnen, dass ich diesen Schutz jetzt nicht mehr brauche. Allmählich erstarren die Schlangen, vertrocknen, zerfallen zu Staub und dann zu Licht.

Im Alltag beobachtete ich von nun an mehr und mehr die unbewusst ablaufenden Assoziationsketten, wie blitzartig, sprunghaft, durcheinander sie sind, aber doch immer wieder denselben Grundmustern folgen, konditioniert durch alte Ängste, Sehnsüchte, Wünsche, Alltagserlebnisse und Aufgaben, alles geprägt vom selben Raster. Zur Übung halte ich den Film gelegentlich an, spule ihn zurück, um die Assoziationskette bewusst zu machen und die zugrunde liegenden Mechanismen zu analysieren. Wie bin ich jetzt ausgerechnet zu diesem Gedanken gekommen? Welcher Sinneseindruck hat welche Erinnerungen ausgelöst? Bin ich jemandem begegnet, der mich an eine bestimmte Person erinnert, so dass mir jetzt Erlebnisse mit dieser Person in den Sinn kommen? Höre ich etwas, was mich an ähnliche Ereignisse erinnert?

Es hat einen heilsamen Effekt, diese Übung dahingehend zu erweitern, den Film nicht nur zurückzuspulen, sondern ihn an einer beliebigen Stelle anzuhalten und in dem festgehaltenen Bild in liebevoller Präsenz zu verweilen. Sei es so ein banaler Gedanke wie: „Ich muss noch den Abwasch machen.“ Dann vertiefe ich mich in das Bild von schmutzigen Geschirrbergen und mei­ner Abwaschtätigkeit mit aller Ruhe, Liebe und Freude, die ich aufbringen kann, um später ebenso gesammelt und präsent ans Werk zu gehen. Das gibt ungeheuren Frieden und Erfüllung.

 Die automatische Gedankenflut hindert uns daran, im Hier und Jetzt die Wirklichkeit wahrzunehmen. Der Verstand hat das hauptsächliche Bestreben nach Sicherheit. Er ist hervorragend geeignet, die Vergangenheit zu analysieren und die Schlussfolgerungen aus bereits Erlebtem auf die Zukunft zu übertragen. Dabei will er um jeden Preis Veränderungen vermeiden, denn das würde ja Unsicherheit bedeuten. Auf diese Weise drehen wir uns immer wieder im Kreis und wiederholen dieselben Muster. Wenn wir diese Mechanismen nicht bewusst durchbrechen, sorgt das Leben auf eine häufig unangenehme und schmerzhafte Wei­se für die anstehenden Veränderungen. Die häufigste Wahl von allen ist die Wahl, nicht zu wählen, also keine bewusste Entscheidung zu treffen und dadurch ein Spielball des Schicksals zu werden.

Die Schlangen in dem Bild haben deutlich gemacht, dass Abwehr keine gute Strategie ist. Widerstand verstärkt die Kraft der Gegenseite, so dass wir in eine Spirale von Abwehr und Kampf geraten, was ungeheuer kraftraubend ist. Eine weit bessere Strategie ist es, Zwangsgedanken, die einen nicht loslassen wollen, durch positive Gedanken zu ersetzen. Wer kennt das nicht, dass bestimmte Sorgen einen plagen, obwohl man weiß, dass man keine Möglichkeit zum Handeln hat. Sorgen um die Zukunft sind ein weit verbreitetes Übel. Haben wir im Rahmen unserer Möglichkeiten alles getan, um unser Leben in die gewünschte Richtung zu lenken, sind alle weiteren Gedanken von Sorge oder Angst überflüssig und schädlich. Die Realität folgt dem Bewusstsein, wir kreieren also genau das, was wir denken und befürchten. Man kann dies alles wissen und sich trotzdem nicht der anstürmenden Sorgengedanken erwehren. So ging es mir vor Jahren, als ich merkte, dass meine innere Abwehr gegen die Sorgengedanken dazu führte, dass sie erst recht wie zwanghaft wiederkehrten. Folgendes Bild half mir, den Kreislauf zu durchbrechen:

Ich spüre die Sorgengedanken in meinem Brustkorb kreisen, als ob sie mich zerfressen und aushöhlen wollen. Ich bitte meinen Engel darum, diese Stelle zu durch-lichten, diese Energie herauszulösen und mir die Essenz davon in die Hände zu legen, damit ich sie erkennen und verwandeln kann. In meinen Händen zeigt sich ein kleiner Drache. Er sieht hungrig und gierig aus. Ich frage ihn, was er in mir bewirkt. Er sagt: „Das merkst du doch. Ich höhle dich aus. Ich fresse all deine Energie weg. Davon ernähre ich mich.“ Ich weiß aus Erfahrung, dass es keinen Zweck hat, ihm das zu verbieten. Also versuche ich herauszufinden, was er an positiven Eigenschaften hat und frage ihn, was er am besten kann. Er sagt: „Fressen. Ich kann und will nur fressen.“ Ich überlege, was ich ihm zu fressen anbieten kann, ohne dass er mir schadet. Blitzartig kommt mir der Gedanke, ihn umzudrehen, so dass er von mir weg nach vorne schaut. Dann sage ich: „Friss also alles weg, was sich mir in den Weg stellt, alle Hindernisse und Blockaden. Sorge für meine Zukunft!“ Er ist einverstanden, die Sorgen um die Zukunft in ein Sorgen für die Zukunft umzuwandeln. 

 …

 

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