Euryhtmie Geschichte

Eurythmie –
von den Anfängen bis zur Gegenwart

 

„Im Anfang war das Wort…“

lautet der Anfang des Johannesevangeliums. Und weiter heißt es dort, dass aus dem Wort alles Gewordene entstanden ist, dass in dem Wort aber auch das Leben und das Licht wohnt, das in die Welt gekommen ist, um die Menschen wieder zurückzuführen in ihren göttlichen Ursprung.
Am 18. Mai 1908 hielt Rudolf Steiner (Begründer der Anthroposophie, 1861-1925) einen Vortrag über den Beginn des Johannesevangeliums, indem er beschreibt, wie der Mensch sich von einem stummen zum wortbegabten Wesen entwickelt hat:

„Dass er das konnte, rührt davon her, dass das, was bei ihm zuletzt erscheint, das schöpferische Prinzip, in einer höheren Wirklichkeit von Anfang an da war. […] Das Wort, das aus der Seele tönt, der Logos, war von Anfang an da, und der Logos hat die Entwicklung so gelenkt, dass zuletzt ein Wesen entstand, in dem er auch erscheinen konnte.“…

Das Wort ist Klang, Klang aber ist Schwingung, geordnete, rhythmisch gegliederte Bewegung. Auch in der Naturwissenschaft geht man heute davon aus, dass alle Materie letztendlich auf Schwingungen, Bewegungen im Kleinsten beruht. Man hat die Theorie vom Urknall, vom Urklang, als Anstoß für die Entstehung der bewegten, lebendigen Welt aufgestellt. In diesem „Urknall“ oder Urklang müssten alle nur überhaupt möglichen Formen als Schwingung, als Bewegung vorhanden gewesen sein, die ins All ertönten und sich der werdenden Materie einprägten.

Wenn von dem Logos, dem Wort, als Anfang alles Seins gesprochen wird, kann man das so verstehen, dass alle Laute, alles, was der Mensch durch seine Sprechorgane hervorbringen kann, denselben Schwingungen, Bewegungen und Rhythmen entspricht, die auch allem gewordenen, allem Materiellen und damit auch dem menschlichen Organismus zugrunde liegen.

Nach diesem Vortrag über das Johannesevangelium fragte Rudolf Steiner die anwesende russische Künstlerin Margarita Woloschin:

„Könnten Sie das tanzen?“

Ihre Antwort blieb unbestimmt, und so dauerte es noch weitere drei Jahre, bis er auf Anfrage einer jungen Frau, Lory Maier – Smits, die Idee einer Bewegungskunst verwirklichen konnte. Die Anfänge fanden buchstäblich im Wohnzimmer der ersten Schülerin statt. Später erweiterte sich der Kreis, Kurse und weitere Übungsanweisungen folgten.

Deutlich war das Bestreben, dem gesprochenen Wort eine bewegte Ausdrucksform zu schaffen, nicht der Musik. Die spätere Ausbildung der Toneurythmie entsprang dem Bedürfnis einer der ersten Schülerinnen nach musikalischen Ausdrucksmöglichkeiten, auf deren Ideen Rudolf Steiner zustimmend einging. Alle Laut- Gebärden und Formen beruhten auf Entsprechungen im Bau des menschlichen Körpers, der Organe, des Skeletts und vor allem der Bewegungen der Sprachorgane. Nicht der Inhalt der Sprache sollte illustriert werden, sondern die Elemente der Sprachbildung als schöpferische Gesetzmäßigkeit sichtbar werden. So wie die Entstehung der Welt von der schöpferischen Ruhe über die schaffende Bewegung zur sichtbaren Form führte, sollte die Antwort des Menschen wieder zurückführen zum schöpferischen Ursprung.
Rudolf Steiner sprach öfter von den Anknüpfungen an die alten vorchristlichen Tempeltänze, durch die sich die Weltgeheimnisse offenbarten und die anlässlich religiöser Feierlichkeiten vorgeführt wurden. Konkrete Vorbilder waren sicher die Tänze des Dionysoskultes (Reigentänze um einen Mittelpunkt) und vielleicht auch die ägyptischen Tempeltänze, die kosmische Gesetzmäßigkeiten zum Inhalt hatten.
Die ersten Jahre der Entstehungszeit waren von einem ungeheuren Enthusiasmus und unermüdlicher Arbeit geprägt. Die weitere Ausgestaltung der ursprünglichen Idee, an der Maßgeblich Marie von Sivers (1867-1948, ab 1914 Marie Steiner) mitwirkte, war stark von den Kunstbemühungen der damaligen Zeit (Jugendstil) geprägt.
Zwischen 1918 und 1925 fanden mehrere erfolgreiche Gastspielreisen durch Deutschland und die Schweiz statt. Eine geregelte Ausbildung entstand, Kurse für Kinder und Erwachsene wurden ins Leben gerufen, und als im Jahr 1919 die erste Waldorfschule durch Rudolf Steiner gegründet worden war, wurde die Eurythmie als Pflichtfach in allen Klassen eingeführt. Mehr als eine reine Gymnastik sollte die Eurythmie bei den Schülern das Zusammenleben von Körper, Seele und Geist fördern als eine Art „beseeltes Turnen“, wie Rudolf Steiner es oft nannte.
1921 wurde schließlich auf Anfrage von zwei Eurythmistinnen und in Zusammenarbeit mit einigen Ärzten die therapeutische Form der Heileurythmie entwickelt, die ebenfalls in der Waldorfschule, in heilpädagogischer Praxis und in Kliniken erfolgreich zum Einsatz kam.

Dieser ersten Blütezeit und Ausbreitung folgte, zunächst durch den Tod Rudolf Steiners, später durch die Verbotszeit des dritten Reiches, ein Rückzug und stilles Weiterarbeiten im Rahmen des Möglichen. Eine weitere Blütezeit folgte in den 70er und 80er Jahren, als in der Öffentlichkeit verstärkt nach Alternativen, vor allem im pädagogischen und therapeutischen Bereich, gefragt wurde.
Neue Waldorfschulen, Eurythmieschulen und -bühnen schossen wie Pilze aus dem Boden. Allerdings blieb auch dieser Boom von der öffentlichen Kunstszene fast unbemerkt.
Ebenso schnell setzte gegen Ende der 80er Jahre ein Niedergang ein, eine Krise, die bis heute andauert. Ob das Einlegen des Rückwärtsganges am Ende der Sackgasse wieder zu einer Neubelebung der ursprünglichen Impulse führt, wird sich erst in der Zukunft zeigen. Heute hat die Eurythmie auf allen Gebieten einen Tiefpunkt erreicht.

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Sicher ist es auch ein ganz natürlicher Prozess, dass hohe spirituelle Impulse mit der Zeit verflachen und verwässern. Schon Rudolf Steiner sprach am 26.8.1923 in einem Vortrag in Penmaenmawr (England) 2 folgendes aus:

„…Es gibt ja in der Menschheitsentwicklung auf der Erde immer solche Epochen, in denen das Spirituelle mehr als in andern Epochen herunterkommt aus den geistigen Welten, … […].Damit nehmen die Künste ihren Anfang. Es folgen dann immer mehr naturalistisch geartete Zeitalter. In denen entwickelt sich das Epigonenhafte der Künste manchmal zu größerer formeller Vollkommenheit, als die betreffende Kunst bei ihrem Ausgangspunkte hatte; aber bei ihrem Ausgangspunkte hatte die Kunst den lebendigeren kraftvolleren, enthusiastischeren spirituellen Impuls.“

Im selben Vortrag heißt es über die pädagogische Seite der Eurythmie:

„Eurythmie gehört zunächst als Kunst in das Leben hinein wie die anderen Künste. Und wie wir die anderen Künste lehren, wenn sie draußen blühen, so kann auch Eurythmie in der Schule nur gelehrt werden, wenn sie in der Zivilisation anerkannt und gewürdigt wird.“

Dass die Eurythmie bis heute im öffentlichen Leben weitgehend unwirksam geblieben ist, hat möglicherweise mit einem rapiden Versiegen der spirituellen Quellen und einer mehr auf das Äußere gerichteten weiteren Ausarbeitung und Ausbreitung zu tun. Aus der gesetzmäßigen Bewegung wird dann ein schablonenhaftes Einstudieren festgelegter Bewegungsabläufe, so dass man bei der Demonstration der Gesetzmäßigkeit stehenbleibt und ein wirklich künstlerischer Prozess kaum noch zustande kommt.

Wenn durch ein Kunstwerk oder eine künstlerische Darbietung die Menschen wirklich berührt und erschüttert werden, so dass ein seelischer Verwandlungsprozess in Gang gesetzt wird, dann erringt sich diese Kunst selbst den Stellenwert, der ihr zukommt. Das ist der Eurythmie bisher offensichtlich nicht oder zu wenig gelungen.

1) Das Johannesevangelium, Rudolf Steiner. GA Bibl.-Nr. 103
2) Eurythmie als sichtbare Sprache, Rudolf Steiner .GA Bibl.-Nr.103

Christiane Feuerstack bietet auf Anfrage Kurse und Einzelunterricht in Eckernförde an.

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