Der kleine Adler in der Wiederkäuerschule
Christiane Feuerstack
Samenkörner
karmische Bilder
mit einer Einführung in die Karmaerkenntnis
Der kleine Adler in der Wiederkäuerschule
eine nur zu wahre Geschichte
mit Zeichnungen von Thomas Brunner
Geleit
Als Gott den Menschen erschuf, nahm er von den mächtigsten Tieren die besten Kräfte: vom Adler den scharfen Blick und kühnen Gedankenflug, vom Löwen Mut und Herzenswärme und vom Stier Kraft und Ausdauer. Er selbst gab dem Menschen Würde und Weisheit, um alle Teile ins rechte Maß zu bringen.
Die Weisheit, das rechte Maß zu finden hatten aber erst ganz Wenige. Den übrigen sah man ihre tierische Herkunft noch an: einige sahen dem Adler ähnlich, andere dem Löwen und wieder andere dem Stier. Erst im Lauf der Jahre nahmen die Menschen ihre heutige Gestalt an, aber in ihrem Inneren sahen sie so verschieden aus wie vorher. Die Weisen, die schon das rechte Maß gefunden hatten, wurden das Vorbild und die Führer der anderen. Damit die Menschen niemals ihre Aufgabe vergessen würden, meißelten sie aus großen Steinen das Abbild ihres Wesens: Die Sphinx; mit einem Menschengesicht, Löwenbrust, Stierleib und Adlerflügeln. Aber immer noch sind nur wenige den ersten Weisen nachgefolgt…. .
I
Wie hatte sich der kleine Adler auf die Schule gefreut! Endlich würde er alles lernen, was er so brennend gerne wissen wollte: warum Gott die Welt erschaffen hat und ob Gott auch das Böse gemacht hat und wo die Toten hingehen und ob alle Engel gut sind und… und… und… . Doch der Lehrer schüttelte bei jeder Frage des kleinen Adlers den Kopf: „In der Schule darfst du solche unnützen Fragen nicht stellen. Das würde die anderen Schüler nur verwirren, und es gibt niemanden, der auf diese Fragen eine Antwort weiß.“ Der kleine Adler schaute den Lehrer erstaunt und misstrauisch an. Unnütze Fragen? Ohne Antwort auf diese Fragen war doch das ganze Leben unnütz! Ob der Lehrer wirklich nichts wusste oder ob er nur sein Wissen für sich behalten wollte?
Der kleine Adler spürte, dass der Lehrer unsicher wurde und fragte darum schnell: „Was lernen wir denn sonst in der Schule?“ Viele nützliche Dinge!“ antwortete der Lehrer. „Zum Beispiel Rechnen, Lesen, Singen und fremde Sprachen aus weit entfernten Ländern.“ Der kleine Adler staunte. Das sollte nützlich sein? „Warum soll ich eine fremde Sprache lernen, wenn ich doch nicht in dieses weit entfernte Land komme?“ fragte er. „Vielleicht kommst du später einmal dorthin,“ belehrte der Lehrer ihn. „Dann kannst du dich dort verständigen.“
Später? Ja, dann hat das mit dem Lernen wohl auch Zeit bis später! dachte der kleine Adler. Warum sollte er mit Dingen seinen Kopf vollstopfen, für die esjetzt keine Anwendung gab?
II
Auch für die Buchstaben interessierte sich der kleine Adler herzlich wenig. Er schaute sich statt dessen lieber im Klassenzimmer um. Die meisten seiner Schulkameraden waren Wiederkäuer- wie der Lehrer auch- , kleine Kälbchen, die still dasaßen und den Worten des Lehrers andächtig lauschten. Sie nahmen bedingungslos auf, was ihnen vorgesetzt wurde und konnten meistens haarklein wiedergeben, was der Lehrer gesagt hatte. Sogar, wenn sie nichts davon verstanden hatten! stellte der kleine Adler erstaunt fest.
Diese Schüler waren Herrn Hornochs die liebsten, denn sie fragten nicht viel und waren dankbare Zuhörer. Auch über die drei kleinen Löwen in der Klasse konnte Herr Hornochs sich freuen. Sie waren gute Schüler und jeder von ihnen hatte seine Anhänger und Schützlinge unter den Kälbchen. Sie entfachten zwar gelegentlich Streit und Unruhe, sorgten aber auch für Recht und Ordnung.
Nur mit den beiden kleinen Adlern hatte der Lehrer seine liebe Not. Sie wollten einfach nicht stillsitzen und zuhören! Wenn er der Klasse etwas über fremde Länder erzählen wollte, krähte mindestens einer von ihnen: „Da war ich schon. Darüber weiß ich mehr als du!“ Die kleinen Kälbchen blickten erstaunt auf. Soviel hatten ihre Kameraden schon von der Welt erfahren?
Einige begannen heimlich, die kleinen Adler zu bewundern. Andere guckten böse. Sie wollten lieber hören, was Herr Hornochs sagte.