Vorschriften
Christiane Feuerstack
Kleingarten Kompost Karma
Vorschriften (Leseprobe)
In der Satzung des Kleingartenvereins gibt es eine Menge Vorschriften und Regeln.
Während ich sie damals studierte, stellte ich fest, dass ich mich schon beim Erwerb des Gartens unwissentlich mehrerer Verstöße schuldig gemacht hatte. Beispielsweise dürfen Gehölze, die Zwischenwirte für Pilzkrankheiten, Bakterienkrankheiten und tierische Schädlinge sind, nicht angepflanzt werden, und schon vorhandene sollten entfernt werden. Große Bäume, vor allem Nadelbäume, sind ebenfalls verboten. Ich stellte fest, dass sich die Anzahl der verbotenen Gewächse in meinem Garten auf mindestens fünf belief.
Weiterhin ist genau geregelt, wie groß der Abstand von Anpflanzungen zum benachbarten Grundstück hin sein darf und wie die prozentuale Aufteilung der Gesamtfläche auszusehen hat: jeweils ein Drittel Rasen und Beete mit ein- und mehrjährigen Pflanzen. Bezüglich dieser Drittel-Einteilung hatte ich anfangs vom Obmann erfahren, dass diese Regel mittlerweile lockerer gehandhabt wird, so dass sie nicht mehr für den einzelnen Garten, sondern für die gesamte Kolonie gilt. So brauchte ich wenigstens in dieser Hinsicht keine Schuldgefühle zu hegen.
Ich las weiter: „Jeder Pächter ist verpflichtet, den Garten und den an seinen Garten angrenzenden Weg stets rein und frei von Gras und Wildkräutern zu halten.“ An dieser Stelle traute ich meinen Augen nicht. Wie bitte? Gras ist in meinem Garten auch nicht erlaubt? Wie verträgt sich denn dieses Verbot mit dem ausdrücklich vorgeschriebenen Rasenanteil? Mir wurde mulmig zumute. Als frisch gebackene Spießbürgerin war ich darauf erpicht, nicht gleich durch begangene Regelwidrigkeiten aufzufallen. Es schien mir fast unmöglich zu sein, alle Vorschriften einzuhalten und eine weiße Weste zu bewahren. Hier würde ich unweigerlich auf eine verbrecherische Laufbahn zusteuern. Meine Täterschaft würde niemandem verborgen bleiben, denn ich las von einer weiteren Verpflichtung jedes Pächters, nämlich „am Eingang des Gartens eine Tafel anzubringen, die deutlich in leserlicher Schrift die Nummer der Parzelle und den Vor- und Zunamen des Pächters angibt.“
Nun gut, dachte ich, bevor ich diese Regel umsetze, möchte ich erst einmal die anderen Gesetzesbrecher der Kolonie namentlich erfassen. Bei einem Rundgang stellte ich fest, dass von etwa fünfzig Parzellen gerade mal zwei ein Schild mit Nummer und Nachnamen aufwiesen. Auf zwölf Toren prangte immerhin noch eine Nummer, und auf einem ein Name ohne Nummer. Außerdem stellte ich fest, dass überall verbotene Bäume und jede Menge Gras wuchsen. Ich atmete erleichtert auf. In Gesellschaft mit anderen Regelbrechern geht es einem doch gleich viel besser! Da jeder unfreiwillig etwas auf dem Kerbholz hat, ist anzunehmen, dass sich die meisten Pächter davor hüten, ihre Nachbarn anzuschwärzen oder auf Regelverstöße hinzuweisen.
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