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Kindergarten-Eurythmie

Wir alle wissen, wie existenziell die Bewegung für das Kind in den ersten Jahren ist. Hält ein Kind beispielsweise die Hände vor das Gesicht, bedeutet das für sein Lebensgefühl: Ich bin versteckt, niemand sieht mich. Bewegung und Sein sind eine Einheit. Das Kind freut sich mit den Händen, ärgert sich mit den Füßen. Je nach der seelischen Bewegung klatscht oder stampft es, wirft sich vor Trotz auf den Boden oder tanzt im Übermut auf dem Tisch. Aber nicht nur die inneren Regungen schaffen sich durch Bewegung Ausdruck, auch alles, was das Kind in der Außenwelt wahrnimmt, wird nachgeahmt und in Bewegung umgesetzt. Und die Freude ist groß, wenn Rhythmus in das allgemeine Gewoge herein kommt, wenn Klatschen, Singen, Hüpfen und Reigenspiele die Bewegung ordnen.

Alle diese Bewegungsimpulse werden in der Eurythmie aufgegriffen. Anhand von kleinen Geschichten und Gedichten lernen die Kinder spielerisch, Bewegung und Sprache miteinander zu verbinden. Die natürlichen Bewegungen, die dem Menschen und der Natur abgelesen sind, werden in sinnvoll gestaltete Bilder gebracht. In diese Bilder kann das Kind eintauchen und sich mit ihnen verwandeln. Es kann sich selbst als Sonne, Wind und Regen, als Pferd oder Mäuschen, als Zwerg oder Riese fühlen. Durch formende und lösende Gebärden werden rhythmische, lautmalerische und bildhafte Elemente der Sprache sichtbar und erlebbar gemacht. Die körperliche Bewegung wird mit seelischem Inhalt verbunden. Tastsinn, Gleichgewicht und Körperwahrnehmung werden geübt. Die Koordinierung von Arm- und Beinbewegungen fördert nicht nur die Geschicklichkeit, sondern unterstützt auch die Verbindungsfunktion der Gehirnhälften und damit die Lernfähigkeit der Kinder. Grob- und Feinmotorik werden ebenso angeregt wie Fantasiekräfte, Sprachvermögen, räumliche Orientierung und soziale Wahrnehmung.

Die Fähigkeit, das gesprochene Wort mit inneren Bildern und einem lebendigen Gefühlsinhalt auszufüllen, verleiht der Sprache ihre eigentliche schöpferische Wirksamkeit. In Worte gekleidete Gedanken und Gefühle streben nach Verwirklichung. Worte ohne inneren Bild- oder Gefühlsinhalt haben bei weitem nicht dieselbe Kraft, wie jeder weiß, der schon einmal verschiedene Schauspieler erlebt hat, die denselben Text rezitieren oder dieselbe Rolle spielen: der eine wird sein Publikum erreichen und berühren, der andere wird gar nicht wahrgenommen. In der Eurythmie lernen wir, nicht nur jedem Wort, sondern jedem Buchstaben eine Gestalt zu verleihen, die dem Laut zugrunde liegenden Kräfte in eine sichtbare Form zu bringen. Seelischer Ausdruck fließt in jede Geste, offenbart sich durch die ganze Gestalt.

In meiner mehr als zwölfjährigen Erfahrung mit Kleinkinder-Eurythmie in den unterschiedlichsten Kindergärten und freien Gruppen habe ich mir immer wieder die Frage gestellt, in welcher Weise die Bewegungskunst Eurythmie den Kindern vermittelt werden kann, ohne dass sie überfordert oder gelangweilt sind. In einer altersgemischten Gruppe ist es naturgemäß immer schwierig, allen Bedürfnissen gerecht zu werden. Hinzu kommt die Tatsache, dass Aufmerksamkeit, Nachahmungsfähigkeit und körperliche Fitness der Kinder in den letzten Jahren in erschreckendem Maße abgenommen haben. Für viele ist es schon ein Problem, ein paar Minuten zu stehen, zuzuhören und zu schauen. Mehr würde ich in der Regel auch nicht verlangen. Es reicht, wenn ein Kind wahrnehmend die Bewegung aufnimmt und später für sich selber ausprobiert, was es schon kann, so wie ein Kleinkind sprechen lernt: es hört, versteht immer mehr, probiert dann einige Laute aus, später Wörter und dann immer mehr ganze Sätze. Niemand würde erwarten, dass das Kind sofort alles versteht oder nachsprechen kann.

Oft höre ich von Eltern, deren Kinder in der Stunde gar nicht mitmachen, aber aufmerksam sind, dass sie zu Hause alles nachspielen. Sie greifen das auf, was ihrem Alter und ihren Fähigkeiten entspricht und erproben anhand des Vorbildes ihre eigenen Möglichkeiten. Im Laufe von einigen Wochen gelingt auch das unmittelbare Nachahmen in der Stunde immer besser. Die meisten Kinder führen gerne etwas alleine vor und können dann problemlos Dinge, die sie vorher gar nicht mitgemacht, sondern nur angeschaut haben.

Das gleichzeitige Aufnehmen von Wortinhalten und Gebärden erweist sich tatsächlich häufig als zu schwierig für viele Kinder. Bei einer stumm ausgeführte Bewegung oder dem Klang eines einzelnen Lautes mit der entsprechenden Bewegung sind in der Regel alle Kinder mit Freude dabei. Rhythmische Variationen einer einfachen Bewegung, schnell und langsam, laut und leise, groß und klein,vorwärts und rückwärts sind vielfältige Möglichkeiten des Übens einfacher Elemente.
Erstaunliche Erfahrungen habe ich mit ausländischen Kindern gemacht, die in den Kindergarten kamen, ohne ein Wort Deutsch zu verstehen, die aber auf Anhieb selbst komplexe Bewegungsabläufe erfassten und perfekt nachahmten. Liegt es daran, dass diese Kinder mehr intuitive oder Nachahmungs-Fähigkeiten zur Verfügung haben, sind sie lernwilliger, aufnahmebereiter, konzentrierter als deutsche Kinder? Oder ist es einfach die Tatsache, dass sie nicht durch das Erfassen des Sprachinhaltes von dem gleichzeitigen Aufnehmen und Umsetzen der Bewegung abgelenkt sind?

Wenn ich solche Fragen in mir bewege, bekomme ich oft erstaunliche Antworten von den Kindern, teils indirekt durch die Art ihrer spontanen Bewegungsäußerungen, aber auch verbal. So sagte einmal ein vierjähriger Junge: „In der Eurythmie ist es so wie in dem Buch von der kleinen Schnecke, die alles nur ganz langsam konnte. Aber als sie daran geglaubt hat, dass sie auch schnell sein kann, war sie plötzlich ganz schnell.“